Projekt

Die Kolonie als wissenschaftliches Projekt. Forschungsorganisation und Forschungspraxis im deutschen Kolonialreich

Projektleitung:
Jürgen G. Nagel
Status:
abgeschlossen

Habilitationsvorhaben

Die historische Forschung in Deutschland entdeckt in den letzten Jahren zunehmend die eigene koloniale Vergangenheit; gleichzeitig richtet sich international ein steigendes Augenmerk auf Verbindung zwischen Kolonialismus und Wissenschaft (scientific colonialism). Dennoch wird die Forschungslage in der Bundesrepublik aus wissenschaftshistorischer Sicht vorrangig von den Disziplinengeschichten und der biographischen Forschung bestimmt. Aus kolonialhistorischer Sicht besteht zudem eine Dominanz der post colonial studies. In der Folge wird hinsichtlich der Kolonialforschung vor allem eine Geschichte der wissenschaftlichen Leitideen und der kolonialen Fremdwahrnehmung geschrieben. Vernachlässigt werden bislang die konkreten Entstehungsbedingungen wissenschaftlicher Kenntnis in den Kolonien, was in Anbetracht der langfristigen Gültigkeit der meisten Forschungsergebnisse eine deutliche Blindstelle hinterlässt. Zudem fehlt bislang eine Zusammenschau der vorliegenden Einzelergebnisse, die durch die Breite des in Frage stehenden Disziplinenspektrums teilweise weit verstreut sind. Vor diesem Hintergrund unternimmt die Studie den Versuch, die Perspektive "von unten" mit einer die Disziplinengrenzen überschreitenden Sichtweise zu verbinden. Dabei stehen mit der völkerkundlichen Forschung, den geographisch-landeskundlichen Fächer und der Medizin drei thematische Blöcke im Mittelpunkt. Den Ausgangspunkt bildet ein dezidiert akteursbezogener Blick auf diese Felder, der einen neuen Zugang zu Fragen nach Erscheinungsformen, Netzwerken und Institutionalisierungsprozessen ermöglichen soll.

Drei grundlegende Thesen bestimmen das Design des Vorhabens. Zunächst ist davon auszugehen, dass drei weitgehend unabhängige Sphären, die wiederum eine nicht unbeträchtliche Binnendifferenzierung aufweisen, die konkrete Ausgestaltung kolonialer Forschung bestimmen. Dabei handelt es sich um die Kolonialadministration, die akademische Wissenschaft und die Forscher und Sammler "on the spot". Des Weiteren ist festzustellen, dass die entscheidenden Beziehungen im funktionalen und informativen, weniger im personellen Austausch zwischen ihnen zu suchen sind. Schließlich kommt der Sphäre der Forscher und Sammler vor Ort die entscheidende Bedeutung für die Entwicklung von Wissenschaft im kolonialen Kontext zu. Vor diesem Hintergrund werden vor allem Fragen gestellt nach den involvierten Personen, nach der konkreten Umsetzung von Forschungsvorhaben und Wissensakkumulation in den Kolonien, nach den Strukturierungsversuchen aus der Heimat, nach den konkurrierenden und kooperierenden Interessen sowie nach dem Zusammenspiel der Beteiligten an das reichhaltige Material.

10.05.2024